Geschichten aus dem
Feldspital

Zwei Pflegefachfrauen erzählen von ihrem Einsatz in Bangladesch.

Es ist eine der grössten humanitären Krisen in Südasien seit Jahrzehnten: Innerhalb von rund 15 Monaten sind Hunderttausende vor der Gewalt im Staat Rakhine in Myanmar nach Bangladesch geflohen – und hier gestrandet. Mittlerweile lebt über eine Million Menschen in riesigen Flüchtlingslagern nahe der Stadt Cox’s Bazar. Ob eine Rückkehr nach Myanmar jemals möglich sein wird ist unklar, doch auch in Bangladesch sind die Perspektiven schlecht.

Die Rotkreuzbewegung war von Anfang an Teil der Hilfsoperation. Die internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) hat kurz nach Beginn der Krise ein Feldspital eröffnet, um die von ihrer Flucht entkräfteten und traumatisierten Menschen zu behandeln. Zirka 52‘000 Menschen haben das Spital aufgesucht, es wurden rund 2700 Operationen durchgeführt und über 600 Babys wurden geboren.

Auch das Schweizerische Rote Kreuz hat aus seinem Nothilfe-Pool Spezialisten nach Bangladesch geschickt. Neben den Logistik-Fachleuten waren es vor allem Gesundheitsfachleute, die im Feldspital in Cox’s Bazar tätig waren. Hier sind die Berichte der zwei Pflegefachfrauen Romy Büsser und Manuela Bieri.

«Manchmal ist eine Erklärung alle Hilfe, die es braucht»

Pflegefachfrau Romy Büsser war im Feldspital in Bangladesch im Einsatz. Diese Geschichte hat sie uns direkt aus Cox's Bazar geschickt.

«Das Neugeborene ist auf diesem Bild elf Tage alt. Seine Tante brachte es zu uns ins Spital weil es einen entzündeten Nabel hatte und immer wieder erbrach. Bei der ersten Untersuchung wirkte es völlig gesund und kräftig, aber schmutzig und ungepflegt – darum habe ich es als erstes gebadet. Wahrscheinlich zum ersten Mal im Leben! Den Nabel habe ich auch richtig gereinigt, und siehe da: Von Entzündung war dann keine Spur.

Mithilfe eines Übersetzers haben wir schliesslich die Geschichte des kleinen Mädchens erfahren. Sie ist Waise, die Mutter starb bei der Geburt, der Vater kam noch vor der Flucht aus Myanmar ums Leben. Die Tante, die selbst keine Kinder hat, hat das Baby bei sich aufgenommen. Sie hatte ihr Milch gegeben, die bereits für Kleinkinder gedacht war, nicht für Babys, darum hat die Kleine auch ständig erbrochen.

Kolleginnen und Kollegen, die hier im Camp die psychosoziale Unterstützung koordinieren, haben die Frau nun in der Pflege von Neugeborenen instruiert und ihr Kleider, Babynahrung und einen Schoppen organisiert. Nach zwei Nächten konnten die Beiden das Gesundheitszentrum wieder verlassen. Erbrochen hat das Baby mit der richtigen Milch kein einziges Mal.

Für mich war schön zu sehen wie dankbar die Frau über die Hilfe war, und dass sie sie auch annehmen konnte. Zum Glück kam sie von sich aus! Nabelinfektion lag zwar keine vor, aber das hätte auch anders ausgehen können. Manchmal ist eine Erklärung oder Anleitung von unserer Seite schon eine grosse Hilfe für die Menschen hier.»

Das erste Bad im Leben (Bild: SRK, Romy Büsser).

Das erste Bad im Leben (Bild: SRK, Romy Büsser).

Romy Büsser mit dem frisch gebadeten Baby.

Romy Büsser mit dem Neugeborenen (Bild: SRK, Romy Büsser).

Romy Büsser mit dem Neugeborenen (Bild: SRK, Romy Büsser).

Bild: IFRC

Bild: IFRC

Bild: IFRC

Bild: IFRC

Bild: IFRC

Bild: IFRC

«Es gab Tage, an denen ich mit dem Mikrofon am Ohr eingeschlafen bin»

Manuela Bieri ist eine der Delegierten, die mehr als einmal in Cox' Bazar einen Einsatz leistetet. Die Plegefachfrau zieht für uns Bilanz.

«Meine beiden Einsätze in Cox‘s Bazar waren sehr unterschiedlich. Als ich zum ersten Mal da war, sind täglich neue Menschen eingetroffen. Dies hat sich auch bei den Patienten und Patientinnen gezeigt, die wir im Feldspital behandelt haben. Alte Schussverletzungen, Traumata,  gynäkologische Notfalloperationen und andere Folgen der beschwerlichen Flucht aus Myanmar waren alltäglich. Entsprechend hoch war die Arbeitsbelastung - wir haben meistens sieben Tage die Woche gearbeitet. Es war eine intensive Zeit, es gab Tage, an denen ich abends mit dem Mikrofon am Ohr einschlief und morgens gleich weiter arbeitete.

Bangladesch war anders, als ich erwartet hatte. Im Januar hatten wir in der Nacht etwa oft Minustemperaturen  - damit hatte ich nicht gerechnet. Mein Einsatz war auch auf fachlicher Ebene sehr spannend. Wir haben beispielsweise oft Wunden mit Honig oder Zucker  behandelt – beides hat eine antiseptische Wirkung.

Mein zweiter Einsatz verlief dann ganz anders. Im Gegensatz zum ersten Mal gehörte die Pflege von Patientinnen und Patienten nicht zu meinen Hauptaufgaben. Stattdessen lag der Fokus darauf, die lokalen Pflegefachleute weiterzubilden. Für mich hiess das, dass ich mich zurückhalten musste, damit sie selbst Verantwortung übernehmen konnten. Das war nicht immer einfach für mich!

Während beiden Einsätze gab es vor allem eine Herausforderung: eine andere Kultur.  Frauen und Kinder dürfen beispielsweise nicht operiert werden, ohne dass der Ehemann oder ein naher Angehöriger sein Einverständnis gibt. Einmal mussten wir deshalb einen 13-jährigen Jungen mit einer Blinddarmentzündung nach Hause schicken. Sein Vater glaubte nicht daran, dass wir seinem Sohn helfen können. Er wollte seinen Sohn lieber von einem traditionellen Heiler behandeln lassen. Als das nicht gelang, ist die Familie aber glücklicherweise zurück zu uns ins Feldspital gekommen und wir konnten den Jungen doch noch operieren.»

Gesundheitsdelegierte Manuela Bieri in Bangladesch im Einsatz (Bild: Manuela Bieri).

Gesundheitsdelegierte Manuela Bieri in Bangladesch im Einsatz (Bild: Manuela Bieri).

Über 700'000 Menschen sind vor der Gewalt in Myanmar nach Bangladesch geflüchtet (Bild: IFRC).

Über 700'000 Menschen sind vor der Gewalt in Myanmar nach Bangladesch geflüchtet (Bild: IFRC).